Erst Brustkrebs danach Multiple Sklerose

Wenn ich mir manche Geschichten von Menschen anhöre, denke ich manchmal, dass es schlimmer gar nicht mehr geht … Stelle dir das mal vor: Du bist gerade Erwachsen geworden, hast die Liebe deines Lebens gefunden, euer Baby ist erst ein paar Monate alt und dann das, Diagnose Brustkrebs. Du bekommst sogar (entgegen der Prognose deines Arztes) 4 Jahre später ein zweites Kind. Ein paar Jahre danach stirbt dein Mann. Jahre später hast du Multiple Sklerose die dich zur „stolzen“ Besitzerin eines Rollstuhls.
Herzlichen Dank liebe Britta für deine bewegende Geschichte, dein Vertrauen und dass wir dich/euch persönlich kennenlernen durften!

Brustkrebs und MSMeine Geschichte mit dem Krebs und der MS

Ich heiße Britta, bin 50 Jahre alt. Ich bin Mutter von 2 erwachsenen Kindern und Großmutter von 4 süßen Enkelchen.
Als ich mit 18 schwanger wurde, freuten sich mein Mann Michael und ich sehr darüber. Mein Examen in der Krankenpflege machte ich schon mit dickem Bauch. Tami kam im Januar 1989 gesund auf die Welt und wir hätte nicht glücklicher sein können.

Ende 1989 war ich, wie gewöhnlich zur Vorsorgeuntersuchung bei meinem Gynäkologen.
Nachdem die Untersuchungen abgeschlossen waren, setzten wir uns noch einmal in sein Sprechzimmer, wie üblich. Er sah mich ernst an und meinte, er hätte in meiner linken Brust was gefühlt und dem müsse man schnell auf den Grund gehen.
Geschockt, ja das war ich. Er machte einen Termin zur Mammographie und Ultraschall aus. Es ging Alles so schnell.
Ein paar Tage später musste ich wieder zu ihm. Er sagte mir dass ich Brustkrebs habe. Ich war 20. Mein Baby war knapp ein Jahr alt. Wir fingen an über Therapien zu sprechen. Ich war wie im Nebel. Michael war mit Baby dabei. Wir weinten gemeinsam. Aber gleichzeitig gab er mir die Kraft mit dem Kampf anzufangen.
Es waren 16 Zyklen Chemotherapie angesagt. Michael fuhr mich hin, ich bekam die Infusionen und dann holte er mich wieder ab. Es war, wie ihr euch vorstellen könnt, widerlich, ekelhaft, menschenunwürdig, grauenvoll, entwürdigend und ich wollte einfach nur noch sterben. Michi nahm sich Urlaub, um sich um mich und Tami zu kümmern.
Ein Jahr und noch einige Bestrahlungen später bekam ich die gute Nachricht, ich wäre in Remission, der Tumor hatte sich verkleinert und es wären keine Metastasen zu erkennen.
Welch Freude. Die uns aber sofort wieder gedämpft wurde, weil wir zu hören bekamen, ich werde wahrscheinlich wegen der Chemo und Bestrahlungen nicht mehr schwanger werden können. Ich war 21! Am Boden! Geschockt!

Da ich körperlich ziemlich fertig war und die Haare nur langsam wuchsen bekam ich Depressionen, die ich ambulant behandeln musste. Mein kleiner Sonnenschein Tami half mir außerdem, wieder nach vorne zu sehen.

Im Juli 1991 war ich wieder bei meinem Gynäkologen zur Vorsorge. Krebstechnisch sei alles im grünen Bereich. Er habe allerdings eine Nachricht, die uns vom Hocker hauen würde.
Ich hielt die Luft an! Michael hielt meine Hand.
Dr. S. sagte grinsend:“ Sie haben echt ein kleines Wunder geschafft, sie sind schwanger!“ Hä? Wie? Nochmal! Schwanger? Wann? Wie? Wo? Aber er machte einen Ultraschall, in dem deutlich die Fruchtblase zu sehen war, ein kleiner Mensch wuchs in mir. Nico wurde im April 1992 gesund geboren! Die kleine Familie war komplett.

Im Jahr 1999 zogen wir von Oberbayern nach Unterfranken, der Heimat von Michael. Es war ein großer Schritt. Wir hatten endlich Zeit für uns, anders als im Schichtdienst des Rettungsdienstes des BRK. Weihnachten 1999 zogen wir ins Tanklager Marktheidenfeld.
Bis September 2000 lief das Leben in ruhigen Bahnen. Das änderte sich am Abend des 22.September. Michael brach, Blut erbrechend, im Bad zusammen und starb am folgenden Tag im Krankenhaus.
Ab dem Zeitpunkt war ich mit den Kindern alleine. Wir mussten aus der Wohnung raus und ich zog in ein kleines Dorf, in dem ich Michaels Urne hatte beisetzen lassen, damit seine Mutter auch die Möglichkeit hatte, am Grab zu trauern.

Im Jahr 2002 wurde der Euro eingeführt und plötzlich reichte das Geld vorne und hinten nicht mehr. Ich machte den Busführerschein und fuhr ab April 2002 Bus im Linien- und Ferienverkehr. Familie und Beruf unter einen Hut zu packen ist ziemlich heftig gewesen und ohne die Hilfe meiner Kinder hätten wir es nicht geschafft. Ab 2008 wurde ich immer öfter krank. Erst hatte ich eine üble Lungenentzündung, die mich lange außer Gefecht setzte. Dann konnte ich plötzlich immer schlechter sehen. Der Augenarzt fand nix außer einem beginnenden Katarakt („grauer star“) also schickte er mich zum Neurologen, denn ich hatte gleichzeitig irrsinnige Migräneattacken. Gegen die Migräne bekam ich Tabletten, das schlechte Sehen blieb, also setzten sie mir eine Kunstlinse ein. Ich wollte und musste ja unbedingt weiter Bus fahren.
Ein gutes Jahr später kam das rechte Auge daher und auch da wurde mir eine Kunstlinse eingesetzt. Das Sehen im Dunklen verschlechterte sich schlagartig, als mir mein damaliger Augenarzt „stümperhaft“ den sogenannten Nachstar laserte. Ich konnte im Dunklen und bei Gegenverkehr nicht mehr sehen. Blöd, wenn du Bus fährst und 70 Kinder auf dich angewiesen sind.
Es kamen noch mehrere Operationen dazu. Ich verlor die Galle nach einer bösen Gallenkolik; ich bekam die Gebärmutter entfernt, weil ich „ausblutete“ während der Menstruationsblutung. Und ich bemerkte immer öfter, dass ich taube Finger, Hände und Füße hatte. Ich schob das Ganze auf den Stress, die viele Arbeit, die Verantwortung.
Bis mein Hausarzt meinte, ich solle mir einen guten Neurologen suchen, der der Sache auf den Grund gehen muss. So könne er nicht verantworten mich weiter Bus fahren zu lassen.

Also suchte und fand ich, nach mehreren Fehlversuchen, eine tolle Neurologin, die mich, nach Durchsicht der Unterlagen, sofort in die neurologische Abteilung des Juliusspitals in Würzburg einwies, wo ich mit unzähligen Untersuchungen und einer Lumbalpunktion „bearbeitet“ wurde. Ergebnis: Multiple Sklerose.
Meine Mutter, meine Kinder, mein Mann Gosbert ( wir hatten uns 2009 kennen- und lieben gelernt und im Mai 2010 geheiratet), wir alle waren in Schockstarre. MS, das war so unbegreiflich, so unvorhersehbar. MS, hieß das nicht Rollstuhl? Als Krankenschwester wusste ich zwar, dass man mit MS gut leben kann, es gäbe gute Medikamente und es würde immer viel geforscht, aber heilbar nach dem heutigen Stand der Wissenschaft war sie nicht.
Ich fuhr weiter Bus, mir ging es gut. Ich bekam Tysabri Infusionen alle vier Wochen und ich lebte weiter.
Meine Tochter machte 2008 Abitur und zog 2009 nach Berlin zu ihrem Freund. Sie machte eine Ausbildung zur Erzieherin. Mein Sohn machte 2011 Abitur, zog nach Heidelberg und studierte Physik.

Ich arbeitete Weiter immer mit der Angst, es kommt ein neuer Schub. Den letzten Schub hatte ich 2016 im Juni, da kam die Fatigue dazu, die es mir nun schlussendlich unmöglich machte, weiter Bus zu fahren. Unter Tränen fuhr ich den Bus auf den Betriebshof und fiel meinem Chef in die Arme mit den Worten: Ich kann nicht mehr fahren, ich wäre jetzt während der Linie fast im Bus eingeschlafen.

Die weiteren Monate verbrachte ich damit, die Rente einzureichen, mich mit dem Arbeitsamt zu streiten und die sonstigen Behördengänge zu erledigen. Mein Mann war mir eine sehr große Hilfe und Unterstützung.

Seit Februar 2017 bin ich in EU-Rente. Ich habe einen GdB von 80% mit den Merkzeichen G;B und aG, einen Behindertenparkausweis und einen Rollstuhl. Ich bin schwer gehbehindert. Aber ich lebe. Ich hab eine tolle Familie, inzwischen eben auch 4 Enkelkinder. Durch regelmäßige Physiotherapie, Ergotherapie und Übungen daheim versuche ich so beweglich wie möglich zu bleiben.
Ich gebe nicht auf. Niemals! Das Leben ist trotzdem schön!

Über folgenden Link könnt ihr Britta gerne auf Instagram besuchen: busdriverwithms

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